Die Illusion der Allmacht
Die Netzliteratin Susanne Berkenheger über ihre Online-Neuerscheinung und den Wandel der Netzliteratur-Szene vor
Am Montag wird die Netzgeschichte "Die Schwimmmeisterin" der Münchner Netzliteratin Susanne Berkenheger (38) online gestellt. Bisher war sie nur in der Austellung "Stories" im Haus der Kunst zu sehen.
Frau Berkenheger, ihre neueste Internet-Geschichte "Die Schwimmmeisterin" wird morgen ins Netz gestellt. Zur Zeit ist sie bereits auf einem Notebook im Haus der Kunst zu sehen. Muß Internet-Literatur also gar nicht online sein?
Doch. Die Ausstellung im Museum betrachte ich als Teststrecke. Dort beobachte ich, wie die Besucher auf die Netzgeschichte reagieren. Menschen verhalten sich vor dem Computer-Bildschirm ja genauso wie hinterm Steuer. Solange alles glatt läuft, ruht der Blick gebannt auf dem Schirm, wenn sie nicht weiterkommen, fluchen sie.
Und haben viele geflucht?
Viele dachten, man kann mit den Laptops online gehen. Tatsächlich kann der User nur die Geschichte beeinflussen, indem er zwischen verschiedenen Optionen wählt, also sich zum Beispiel dafür entscheidet, ins Wasser zu springen. Dabei wird er allerdings unmerklich von einem Virus beeinflußt, dem "hai75". Der Leser glaubt, er hätte Wahlmöglichkeiten, dabei wird er stark eingeschränkt durch einen zweiten Mauszeiger, der die Kontrolle übernimmt.
Also doch keine neue unbegrenzte Allmacht für den Leser in der Netzgeschichte?
Absolut nicht. Ich finde, die Wahlmöglichkeiten im Internet sind eigentlich vorgegaukelt, tatsächlich hat doch nicht weniges ewige Ladezeiten, vieles funktioniert nicht und oft sitzt man ziemlich ohnmächtig vor dem Bildschirm. Diese Kontrolle führe ich dem Leser mit meiner Arbeit vor Augen. Jede seiner Entscheidungen wird aufgezeichnet, am Ende bekommt er das gesamte Protokoll seiner Handlungen vorgespielt.
Lange Zeit hieß es immer, der Autor ist tot.
Jetzt heißt es, der Hypertext ist tot.
Nach den euphorischen Erwartungen, die manche in den neunziger Jahren hatten, sind jetzt viele ernüchtert. Eine „digitale Revolution„ des Literaturbetriebes hat einfach nicht stattgefunden.
Einer der beiden Netzliteraturpreise, die Sie bereits gewonnen haben, der "Pegasus" (von der ZEIT), ist längst wieder eingestellt worden. Da scheint sich nicht mehr viel zu regen in der deutschen Netzliteratur-Szene.
Welche Netzliteratur-Szene? Es gibt doch viel mehr Leute, die über Netzliteratur diskutieren, als es Netzautoren gibt. Es fehlen Primärtexte.
Ist es deshalb auch so leicht, bei Netzliteratur-Wettbewerben zu gewinnen?
Als mein erster Hypertext "Zeit fuer die Bombe" 1997 prämiert wurde, habe ich mich schon gewundert. Ich war ja damals noch ganz frisch im Netz, und technisch war die Bombe ziemlich simpel. Eine pure Verlinkung. Kein Vergleich zur "Schwimmmeisterin".
Und warum spielt die neue Geschichte gerade im Schwimmmbad?
Die Idee kam mir im Dante-Bad. Ich sah diesen Mann, den Schwimmmeister, in seinem Glaskasten. Vor sich hatte er blaue Kontroll-Bildschirme, auf denen Körper unter Wasser vorbeipaddelten. Daraus entstand die Optik: Aus der Form geratene Kacheln, die unter Wasser vor sich hinwabern. Letztendlich gibt es viele Parallelen zwischen einem Freibad und einem Chat im Netz: Viele Menschen versammeln sich an einem Ort, manchmal kommt man sich etwas zu nah und letztlich geht es immer ums anbaggern.
Das Interview führte Anne Petersen.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung